DAV Logo - Zukunft schützen
Deutscher Alpenverein
Sektion Braunschweig e. V.
Hochtourengruppe


Hochtourengruppe
  Start
  Aktuelles
  Wer sind wir?
  Unser Programm
  Berichte
  Bildergalerie
  Links
 
 
Kontakt zu uns
  Impressum
  Kontakt
  Infos abonnieren
  Sitemap
  Interner Bereich

Berichte von Unternehmungen

Rubrik: Allgemeines, Nordwandgefühle in den südlichen Alpen: Klettertage in den Lienzer Dolomiten

Eingestellt am 08.04.2008 21:27 von Jens Köhler.

September 2007: trübes Wetter; sinkende Temperaturen, in den Alpen erster Schnee. - Die Stimmen der Optimisten werden leiser....

Unser Auto tuckert durch Regendeutschland, passiert verschneite Grenzberge zu Österreich und den vom Schnee geräumten Pass Thurn der Kitzbühler Alpen, die Felbertauernstraße entlang und schließlich durch den Tunnel nach Osttirol. Auf der Südseite des Alpenhauptkammes empfängt uns gelbes Licht, eingebettet ins Himmelsblau ein paar weiße Schäfchenwolken. Rasch erreichen wir Lienz und von dort über eine kleine Mautstraße die Lienzer Hütte (1616m) am Eingang der Osttiroler (Lienzer) Dolomiten. Parken, packen, Plätzchen essen; die Rucksäcke der Superlative geschultert, machen sich Holger (größter Rucksack), Jens (breitester), Ronald (kleinster) und Klaus (chaotischster) auf den kurzen Anstieg zur Karlsbader Hütte (2260m). Diese liegt im Zentrum eines riesigen Amphitheaters, umgeben von - aus der Ferne betrachtet – steil aufragenden und abweisenden Bergwänden aus grauem Kalkgestein. Die Augen der sich nähernden Kletterer lösen die Strukturen in gestufte Flanken, griffige Grate oder zerklüftete Wände auf, erahnen Routen und Kletterwege. Die „himmelhohen“ Gipfel schrumpfen unter die 3000er Grenze, ihre Spitzen bleiben mit Schnee „verzuckert“.

Die Karlsbader Hütte liegt nicht den Topgebieten der Alpen: kein Fernwanderweg, keine Kalenderbildberge, nicht mal Gletscher oder Firngipfel – (Duschen erst in 2008). Dennoch ist die Hütte gern besucht; Tagesgäste haben von Lienz einen kurzen Anmarsch; Bergführer oder das Bundesheer finden sich ein. Die meisten kommen zum Klettern oder Klettersteiggehen (3-4 ab Hütte). Die Felswände sind gleichermaßen attraktiv für Nordwandgesichter (z.B. Laserznordwand ca 600m hoch; im 6/7. Grad), extremste Sportkletterer (Routen bis 9), aber auch für „Normalos“. Die Routen sind nicht „übernagelt“, wer Plasierrouten mit Haken-abständen von 5m sucht, wird nicht fündig. Kletteranfänger und im alpinen Bereich völlig Unerfahrene sollten besser mit Unterstützung starten.

Zwei leichte Grate hatten wir uns als Eingehtouren vorgenommen und standen am nächsten Morgen, nach ausgiebigem Frühstück, fröstelnd vor dem Hüttenthermometer, das knapp über 0° C anzeigte. Ein Bergführer belehrte uns, dass die angepeilten Touren (Egerländer Kante und Bügeleisen) noch den ganzen Vormittag im Schatten lägen und wir für die 3-4 stündige Kletterei viel zu früh wären. Kurze Beratung und wir wandten uns in Richtung kleiner Gamswiesenspitze. Die Strahlen der Vormittagssonne sollten diesen Berg schneller erreichen. Ihre NO-Kante und NO-Wand lockten mit Kletterei im IV und V Grad, sollten eigentlich erst zu einem späteren Zeitpunkt der Woche an der Reihe sein. Dank Anstiegsskizze aus dem Internet fanden wir rasch den Einstieg. Unsere Routen lagen noch im Schatten, nur die Gipfel der Nachbarn leuchteten in der Morgensonne. Der Fels war entsprechend kalt, an einigen Stellen glitzerte Eis und kleine Schneeflecken hafteten an der Wand. In Ruf- und Kameraentfernung stiegen wir fast nebeneinander ein: Jens und Ronald die Platte, Holger und Klaus die Kante. Unsere Route verlief Anfangs durch eine Kamin und über Risse und Bänder; die Standplätze waren mit Bohrhaken eingerichtet und zwischendrin gab es noch 2-3 zusätzliche Haken. Nach 3 SL trafen die zwei Seilschaften auf einem gemütlichen, mit Schnee bedeckten Felsband kurz zusammen. Holger und ich querten nun auf die sonnige Kante, Jens und Ronald blieben in der schattigen NO Wand. Gratkletterei ist eine luftige Angelegenheit und ich war froh in den beiden schwierigsten SL ein paar Klemmkeile unterzubringen. Ein Vierer mit 6-7 Haken an unserer Kletterwand in BS ist doch etwas ganz anderes als einer auf 2000m Höhe, mit 2-3 Haken auf einer 45m SL, nicht ganz fester Fels, sowie etlichen hundert Metern „Luft unter den Sohlen“. Den beiden Anderen in der Nordwand blieb zwar das ganz luftige Gefühl verwehrt, jedoch war ihre Kletterei etwas schwieriger: obwohl mehr Haken, lagen einige davon unter dem Schnee, andere „passten“ nicht in den Weg und - wie Ronald später konstatierte – waren manche Stellen mindestens V statt V- (oder war es V+ statt V ?). Doch alle Schwierigkeiten wurden konzentriert und gut bewältigt und nach einer guten Stunde trafen wir kurz hintereinander auf dem Gipfel ein. Rast in der Sonne, Abstieg über einen schmalen Steig, Sonnenbad auf einer Wiese und schließlich rechtzeitig zum Cappuccino an der Hütte zurück.

Am Abend trafen Ute und Peter ein, die in den folgenden Tagen ein paar Klettersteige gehen wollten. Daher steuerten wir am nächsten Vormittag unterschiedliche Ziele an: Die Klettersteigler überschritten die Kl. und Gr. Gamswiesenspitze über den Madonnensteig, während wir anderen in Richtung Laserzwand loszogen: Ronald, hochmotiviert durch den Vortag, konnte Jens für eine Route durch die SW-Wand gewinnen. Das Topo für die SW-Wand gab Schwierigkeit IV+ und 6 SL an; die beiden wählten eine Einstiegsvariante mit V, dann IV+ und etwas leichter. Allerdings war nach 6 SL die Wand noch nicht zu Ende. Ronald schreibt:

„Der untere Teil ist gut mit neuen Bohrhaken gesichert. Es ist eine sehr schöne Tour in festem Fels mit zwei Kaminstrecken. Die letzte Seillänge, ein Kamin mit überhängenden Felsen, sehr glatt, staubig und kalt ist eher als V- (statt IV+) zu werten. Um 14:30 h am Ausstieg zur Westschlucht, suchen wir 1 h den Weiterweg; mehrere Routen zur Auswahl. Eine im III. Grad mit einem Pfeil gekennzeichnet, der beschriebene Gehweg durch die Westschlucht ist durch große Felsbrocken versperrt, es liegt Schnee darin. Aus den 3 SL (III/II) teilweise brüchig, werden für uns 6, da wir ein Halbseil schon eingepackt haben und nur mit einem (doppelt - 25m) klettern. Nochmal 3 h Stunden, am Gipfel um 18:15 h.“

Holger und ich wählten die Bügeleisenkante, ein Klassiker, leicht (III+), aber lang (10 SL).
Die berüchtigten Thenius-Haken - Foto: Klaus Steube
Ein Charakteristikum und Kuriosum zugleich sind die hier eingebohrten Theniushaken (gen. n. d. Entwickler, Ing A. Thenius): monströse Gebilde aus 15-20 cm langen gewundenen Stahlbügeln, in die ein Bergseil eingefädelt werden kann. Laut Erfinder sind dann zusätzliche Zwischensicherungen entbehrlich. Wir stellten jedoch (nicht als Erste) fest, dass bei deren Benutzung eine „wahnsinnige“ Seilreibung das kontinuierliche Klettern verhinderte. Wir hängten schließlich unsere Expressen in diese Konstruktionen ein und führten das Seil in gewohnter Manier durch die Karabiner. Für die Begehung der Bügeleisenkante benötigten wir nur 3 h und daher konnten wir noch den Roten Turm „anschließen“: ein auffallender rötlicher Felsklotz im Kammverlauf oberhalb des Laserzsattels. 3 SL, ca. 120 m, zuerst eine moderate Rampe, dann eine senkrechte, stellenweise vereiste Platte, gefolgt von einer schrägen, mit Schnee durchsetzten und sehr windigen Schrofenrinne und schließlich der Schmittkamin, ein enger, aber recht griffiger Durchschlupf zum geräumigen Gipfelplateau, auf dem sich mühelos einige 100 Menschen um das Kreuz versammeln können. An diesem Tag waren wir die Einzigen; vielleicht hatte in den vergangenen Tagen das Schnee und Eis in der Rinne so manchen abgeschreckt. Ein grandioser 360° Rundblick belohnte den Aufstieg: Im Norden thronte der Großglockner, gen Osten reichte der Blick zum Triglav nach Slowenien, im Süden die Italienischen Dolomiten und weit im Westen die eisbedeckten Berge der Ötztaler, des Stubais und der Ortlergruppe. - (Leider machte der Akku meiner Kamera schlapp – und legte aber den Grundstein für eine weitere Besteigung des Roten Turms, zwei Tage später; dann allerdings über eine neue Route (Silberpfeil) mit schönen, teilweise recht luftigen und fotogenen Passagen im Zickzack durch die SW Flanke des Roten Turmes). – Ein schmaler Pfad brachte uns vom Laserzsattel zurück zur Hütte. Mit dem vorletzten Licht trafen auch Ronald und Jens ein, angestrengt aber zufrieden ob der gemeisterten Klettertour. Und mit dem letzten Tageslicht vervollständigte sich schließlich unsere Gruppe durch die Ankunft von Gaby und Gerhild. Die beiden brachten ein durchziehendes Tiefdruckgebiet und einen leckeren Schokonusskuchen mit. Das Tief bescherte uns Schnee und am nächsten Morgen präsentierten sich die Berge wie mit Zucker bestreut. Dazu pfiff der Wind durch Jacke und Mütze. Fazit: Wander- und Ruhetag. Einige steigen zum Parkplatz ab, um mehrere Druckwerke von bekannten und weniger bekannten Bergautoren aus einem der Fahrzeuge zu bergen. Während des Rückweges machte Holger die unangenehme Bekanntschaft mit der letzten Wespe des Tales, Ute und Gaby freundeten sich mit einer Herde Schafe an, woraufhin Peter und Klaus über das zu erwartende Abendessen sinnierten. Unsere zwei „Extremen“ machten eine ausgedehnte Törl- und Talwanderung von 1600 Höhenmetern, während Gerhild zum Fotografieren in Hüttennähe blieb. Nachmittags zeigte sich wieder die Sonne und versprach für den nächsten Tag Postkartenwetter. Und so war es auch. Ute und Peter versuchten die Sandspitze über einen Klettersteig, wir anderen zogen nun zu Sechst nochmals zur Bügeleisen- und Egerländerkante. Das „Kletter-timing“ war perfekt: am späten Mittag trafen wir alle 8 auf dem Laserzsattel zusammen. Ute und Peter war allerdings der Aufstieg auf die Sandspitze durch ein abschüssiges Altschneefeld kurz vor dem Gipfel verwehrt geblieben. Nach der Rast strebten alle noch einen der Aussichtsgipfel an: die 3 Kletter-seilschaften über verschiedene Routen auf den Roten Turm, bzw. die Wanderer auf den leichteren Laserzwandkopf.
Das Geburtstagskind Gerhild an Steiler Wand (V+) - Foto: Klaus Steube
Der Abend brachte - welch Überraschung - einen Geburtstagskuchen und einen großen Beutel mit Bergbüchern für unsere jüngste Älteste: Gerhild feierte ihren 67.!
Morgendämmerung in den Lienzer Dolomiten - Foto: Klaus Steube
Tags darauf stiegen Ute und Peter ab; wir anderen zogen zum Fuß der Kl. Teplitzer Spitze. Da die ersten Vier einen kleinen Umweg „wählten“, gelangten Jens und ich – obwohl als letzte gestartet - in den Vorzug, als Erste in die kühle Nordwestwand (Haspinger Weg, IV) einzusteigen; die anderen warteten nun am Einstieg in der Kälte. Die Beschreibung des Kletterführers lautete: „...etwas chaotische Linienführung...Fels nicht immer ganz solide und nicht alle Haken zuverlässig...“. Wir fanden jedoch reichlich neue Haken und kletterten in einem „logischen Zick-Zack“ bis zur 5. SL. Von da ab war die Wand nicht mehr so steil, aber teilweise brüchig und mit Neuschnee gesprenkelt. Ein weißer Fleckenteppich, der eine Wegfindung fast vereitelte: drei Leute suchten eine ¾ Stunde in der verschneiten Wand, bis es schließlich Gaby gelang, in einer neuen Richtung, nach ca. 15 m einen ersten Haken zu entdecken. Von da an ein paar weitere, bis wir nach ca. 3 SL den Gipfel erreichten. Sonne tanken, etwas essen und trinken. Ein Stück über uns lockte der Grat zur Gr. Teplitzer Spitze. Unser ostdeutsches Dreamteam (Ronald und Jens) erlag dieser Versuchung und machte sich auf, diesen wild gezackten Grat auf den Gipfel zu erklettern. Eine noch lohnendere Kletterei, ebenfalls im IV. Grad.

Der Rest bummelte bergab, durch das „Mohammedaner Kar“ (welchen Namen man wohl heutzutage wählen würde?), zu einem riesigen Felsklotz um dort einmal eine Felsroute im Schwierigkeitsgrad IX zu berühren und danach zwei schöne Klettergartenfünfer „zu machen“. Zufrieden stiegen wir weiter über das Kerschbaumer Törl zur Hütte ab. Am Morgen verabschiedeten wir Jens, der zum Bahnhof nach Lienz aufbrach. Damit fehlte Ronald der Lieblingspartner und er bildete mit Gerhild und Gaby eine Dreierseilschaft, mit dem Ziel NO-Kante der Gamswiesenspitze (an der alle drei noch nicht waren). Holger und ich ließen es gemütlicher ausklingen und wählten einen „halben“ Klettersteig: anfangs über den Gebirgsjägersteig, dann den Ari-Schübel Weg auf die Gr. Sandspitze; von dort einen Felsgrat hinab in die Daumenscharte, den Daumen überschreitend und wieder hinab in die Böse Scharte. Hier gibt es ein Notabstieg, an dem wir die Tour beendeten um rechtzeitig zur Hütte zurückzukehren. Eingedenk der Schilderung von Peter nahmen wir eines der Seile mit und querten das kleine Schneefeld unterhalb der Kl. Sandspitze mit einer etwas improvisierten Seilsicherung. Erst danach begann der eigentliche Eisenweg, mit tollen Passagen an den fast senkrechten Bergflanken. Dieser 2001 erstellte Klettersteig (Sepp-Oberlechner Gedächtnis Weg oder auch Panorama-Klettersteig genannt) kann es durchaus mit so manchem der Klassiker aus Südtirol aufnehmen und ist in seiner kompletten Länge eine anspruchsvolle Tagestour (Kategorie C/D).

Alle wieder an der Hütte vereinigt, gab es noch einmal Kuchen und dann hieß es Abschied nehmen. Wir Männer stiegen für die (nächtliche) Heimfahrt ab, das Damen-Duo blieb noch eine Nacht auf der Karlsbader Hütte, um dann für zwei weitere Tage rüber in die Schobergruppe zu wechseln.

Klaus Steube

PS.: Teilnehmer an der Tour waren: Holger Blume, Peter Bornhorn, Gerhild Jüttner, Gaby Lappe, Jens Poggemann, Ute Rabenstein, Ronald Scheffler und Klaus Steube
Zur Übersicht der Berichte


DAV Braunschweig 23.Februar 2022